Die totale Sonnenfinsternis am 11.8.1999

Rainer Haas



9.8.99: Die Vorbereitungen

Die letzten Vorbereitungen für die Sonnenfinsternis werden getroffen. Wir werden uns einen Caravan mieten und in das Gebiet der Zentrallinie fahren, um dort dieses Ereignis zu erleben. „Wir" sind Hans, unserer Fahrer, Silke, Norbert und ich. Ich bin als Hobbyastronom für die astronomische Reiseplanung zuständig. Diese besteht im wesentlichen aus zwei Teilen, einem leichten und einem, der mir langsam graue Haare wachsen läßt.

Die in den letzten Tagen verstärkt aufkommende Bezeichnung „SoFi" werde ich in diesem Bericht nicht gebrauchen, da er mir aufgrund des bewegenden Ereignisses äußerst unangebracht erscheint.

Zunächst der leichte Teil: die Ausrüstung; aus verschiedenen Speichern und Kartons werden angestaubte Utensilien geholt, die eventuell nützlich sein könnten: die Fotoausrüstung, ein 50 mm-Refraktor, ein zum Teleskop umgebautes 67 mm-Teleobjektiv, Stativ, eine Sonnenfinsternis-Brille, Luxmeter, Kompaß, Timer, drei Feldstecher (20 x 60; 10 x 50, 6 x 30). Die Ausrüstung wird überprüft. Der Winder hat die Lagerzeit nicht überstanden, sonst ist alles in Ordnung.

Nun zum eigentlichen Problem: ich muß den „richtigen" Platz auswählen, von dem aus wir die Sonnenfinsternis in vollem Umfang erleben können. Bis vor ca. einer Woche wäre dies noch kein Problem gewesen, aber das wechselhafte Wetter der letzten Tage macht die Entscheidung schwierig.

Ein Beispiel: am 6.8. und 7.8. war es tagsüber bedeckt und man hätte nur geringe Chancen gehabt, die Sonnenfinsternis zu erleben. In der Nacht jedoch beobachtete ich zusammen mit dem Sternfreund Winfried bis 3 Uhr morgens von unserem Beobachtungsplatz in Deckenbach mit seinem 16" Dobson-Teleskop unter extrem guten Sichtbedingungen: Grenzgröße für das bloße Auge: 6,4 m; Andromedanebel, Kugelsternhaufen M 13, Gasnebel im Schützen sowie blickweise Uranus mit bloßem Auge; Uranus und Neptun als gestochen scharfe blaugrüne bzw. stahlblaue Scheiben im Teleskop bei 220facher Vergrößerung.

Auf der Bild der Wissenschaft-Seite zur Sonnenfinsternis sagt die Prognose vom 9.8. die mit Abstand die besten Sichtbedingungen in Deutschland für das Saarland voraus. Also wir als vorläufiges Ziel der Raum um Saarbrücken anvisiert.



10.8.99: Die Abfahrt

Heute soll es in den späten Nachmittagsstunden losgehen. Ein Rundruf ergibt, daß die anderen drei Freunde keine Sonnenfinsternis-Brillen haben. Also werden 8 Schweißgläser gekauft. Das Fachgeschäft hat sich mit einigen 100 geeigneten Gläsern ausgestattet, dies jedoch nicht bekannt gegeben. Weitere Käufer finden sich ein, die jeweils fünf bis zehn Gläser und mehr a 4,- DM bzw. 10,- DM kaufen und dann mit einem zufriedenen Lächeln verschwinden.

Spekulationsobjekte??? Wenn morgen in Marburg klarer Himmel ist, wird bis ca. 12 Uhr der Tagespreis für diese Mangelware in die Höhe schnellen, um dann bei Finsternisende schlagartig auf Null zu sinken.

Morgens läßt der Blick auf die Sonnenfinsternis-Seite im Internet Gutes erahnen: Traumhafte Sichtprognosen für den Raum Saarbrücken, gute für Karlsruhe und Stuttgart sowie mittlere für Augsburg und München. Das Reiseziel heißt Saarbrücken.

Auf dem Weg zum Filmkauf begegne ich Annette, die keine Brille mehr bekommen hat. Gut ausgerüstet mit den Schweißgläsern gebe ich ihr eines dieser begehrten Objekte. Dann fahre ich zu meinen Eltern, sie bekommen ein Schweißglas.

Die Sachen werden gepackt, gegen 16 Uhr soll die Reise nach Saarbrücken beginnen.

Um 15 Uhr noch ein kurzer Blick ins Internet, um die aktuelle Prognose abzurufen. Was mich erwartet, ist wie ein Schock, die Lage ist auf einmal total verändert: Sonnenwahrscheinlichkeit für Saarbrücken nur noch 50%, für Karlsruhe und Stuttgart 60%, für Augsburg und München 25%.

Wohin soll die Reise nun gehen??

Die Entscheidung fällt aus dem Bauch heraus: Karlsruhe; nicht wegen der gering höheren Sonnenwahrscheinlichkeit, sondern aus dem Glauben heraus, daß in dieser Lage die größten Chancen auf Sonne in der entscheidenen Phase in der Nähe des Rheins liegen, der im richtigen Moment schon für Wolkenlücken sorgen wird.

Trotzdem ein Rundruf: wir reisen erst ab, wenn die nächste Prognose im Internet erscheint. Sind wir erst einmal auf der Reise, haben wir keinen Zugriff mehr.

Gegen 1520 Uhr kommt Hans unerwartet früh, um mit mir gemeinsam den Caravan abzuholen. Kalt erwischt: ich bin gerade beim Kaffeetrinken und habe meine Sachen noch nicht vollständig gepackt. Mein Angebot, einen Kaffee zu trinken, schlägt er aus und drängt (intuitiv??) auf sofortigen Aufbruch.

Zu früh, aber doch zu spät, wie sich bald herausstellen sollte. Was zunächst wie eine alltägliche Sache erscheint, soll sich bald als fernsehreifes Kabarettstück erweisen, auf dessen ausführliche Darstellung in keiner Weise verzichtet werden kann.

Gegen 1550 Uhr treffen wir in Battenberg-Laisa, dem Ort des Geschehens, ein. Zunächst erscheint alles völlig normal: vor einem aufgegebenen Kolonialwarenladen stehen drei Caravans, von denen einer für gut einen Tag unser mobiles Hotel sein soll. Also schnell die Schlüssel abgeholt, dann ab nach Marburg und dann in Richtung der schwarzen Sonne nach Süden - dachten wir.

Die Frau des Caravanvermieters Otto öffnet und die Türe und sagt uns, daß Otto den ganzen Tag auf uns gewartet habe und nun sein Auto zur Inspektion nach Frankenberg gebracht habe (Anmerkung: der Caravan sollte zwischen 15 Uhr und 17 Uhr abgeholt werden). Er sei gegen 1715 Uhr wieder da. Sie kann uns den Schlüssel des Caravans nicht geben, das kann nur Otto. Auf unser Drängen dürfen wir wenigstens zunächst einen Blick in das Innere eines der Caravans werfen, der falsche, wie sich später herausstellt. Dann die Idee von Ottos Frau: Anruf bei der Werkstatt, wir holen Otto ab und können dann losfahren. Doch welche Werkstatt?? Nach einem Fehlversuch haben wir Otto am Telefon: er kommt uns zu Fuß entgegen. Wir fahren nach Frankenberg, auf dem Weg zur Werkstatt sehen wir Otto nicht, auch in der Werkstatt ist kein Otto. Nach einer kleinen Stadtrundfahrt durch Frankenberg sehen wir Otto, der mit einem Bekannten plaudert und laden ihn ein.

Auf der Rückfahrt nach Laisa eröffnet uns Otto, daß er ohne den Führerschein und Personalausweis von Hans, den dieser nicht dabei hat, uns den Caravan nicht geben wird. In Laisa der Kompromiß: Silke gibt die auf dem Führerschein befindliche Nummer telefonisch durch. Otto bezweifelt, daß dies die richtige Nummer ist, aber da die Zeit drängt, wird kurzerhand noch das Fragment „/01/91" aus einer weiteren Nummer, das laut Otto „gut klingt", an die erste Nummer angehängt.

Während Hans immer nervöser wird, kann ich mich vor lachen kaum noch halten.

Otto verzichtet auf die 1200,- DM Kaution; auf meinen Einwand, er solle den entsprechenden Vermerk auf dem Vertrag durchstreichen („Kaution erhalten") sagt er, das wäre schon in Ordnung so.

Nun kann es endlich losgehen. Nicht nach Marburg, sondern zunächst zu Hans Mutter im selben Ort, wo Hans Auto abgestellt werden soll. Einige Sekunden, nach dem Hans abgefahren ist, sagt mir Otto, ich solle Hans aufhalten, er dürfe nicht fahren. Ich verstehe nicht was er meint, fahre Hans nach und sage es ihm auf dem Hof seiner Mutter. Dort ist nun auch Otto eingetroffen. Hat Hans die Warnleuchte nicht gesehen? Der Tritt ist noch draußen! Große Aufregung.

Nun geht es endlich nach Marburg, inzwischen ist es schon 1730 Uhr. Während Hans und ich äußerst guter Laune sind, kann man dies von Silke und Norbert nicht sagen. Sie sind etwas nervös und fragen, warum wir so spät kommen. Um die Abfahrt nicht weiter zu verzögern, versprechen wir eine ausführliche Schilderung während der Fahrt.

Nachdem Hans, Silkes und Norberts Sachen im Caravan verstaut sind, fahren wir zu mir. Dort werden meine Sachen eingeladen und die letzte Prognose aus dem Internet gezogen. Sie unterscheidet sich nur unwesentlich von der 14 Uhr Prognose: Sonnenwahrscheinlichkeit für Karlsruhe bescheidene 55%, für Saarbrücken und Stuttgart je 50%. Meine Entscheidung des Reiseziels -mit gemischten Gefühlen- heißt Karlsruhe. Die Fahrt nach Karlsruhe verläuft ohne Probleme, keine Staus. Die Sichtbarkeitsprognosen im Radio werden immer schlechter, mit leichter Bevorzugung von Saarbrücken vor Karlsruhe und Stuttgart.

Im Raum Darmstadt überkommen mich leichte Zweifel: führe ich uns in eine Wolkenfinsternis??

Um uns nicht alle Wege in Richtung Saarbrücken zu verbauen, schlage ich vor, in der Nähe von Wörth nordöstlich von Karlsruhe zu übernachten. Von dort führt eine Landstraße über Hagenbach parallel zum Rhein (10 km), der unser Wolkenbohrer sein soll. Dies soll unser Beobachtungsstandort sein, wenn sich an den Prognosen nicht mehr viel ändert. Wir befänden uns dort nur wenige km nördlich der Zentrallinie. Andererseits wäre von dieser Position aus auch in ca. 1,5 Stunden der Raum Pirmasens-Saarbrücken zu erreichen, so daß wir kurzfristig nahe der Zentrallinie am nächsten Morgen noch ca. 100 km in Richtung Saarbrücken ausweichen könnten. Auch Stuttgart wäre von dort aus noch zu erreichen.

An unserem Rastplatz, einem Waldweg nahe Wörth, hören wir weiter Radio. Während die Sichtbarkeitsprognosen immer düsterer werden und zum Schluß bei 10-20% für den gesamten Raum Saarbrücken/Karlsruhe/Stuttgart liegen, klart der Himmel auf: in den von den Bäumen freigelassenen Ausschnitt stehen die Sterne am Himmel, jedoch steht niemandem von uns der Sinn danach, mit dem Teleskop zu beobachten.

Unsere Stimmung ist nicht gerade auf dem Höhepunkt, Hans kann keinen Wein trinken, da kein Korkenzieher mitgenommen wurde. Nach Genuß unserer bescheidenen Biervorräte legen wir uns gegen 130 Uhr schlafen. Unter erheblichem Protest meiner drei Mitreisenden stelle ich den Wecker auf 730 Uhr.




11.8.99: Der Tag der schwarzen Sonne

Ich stehe um 7 Uhr auf. Der Himmel ist vollständig bedeckt, nur am Horizont ist ein ca. 5° großer wolkenfreier Abschnitt zu erkennen, der im Verlauf der nächsten Stunde merklich größer wird. Sogar kleine Stücke blauer Himmel sind in Zenitnähe sporadisch zu sehen. Um 9 Uhr bricht für wenige Sekunden die Sonne durch die Wolken.

Die Wetterprognosen werden immer düsterer. Der Deutsche Wetterdienst sagt für den gesamten deutschen Raum der Zentralen Verfinsterung eine Sichtbarkeitswahrscheinlichkeit von nahezu 0% voraus, eventuell einzelne Wolkenlücken im Saarland. Für den Raum Karlsruhe wird die Wahrscheinlichkeit, die Sonne zu sehen, für geringer als 6 Richtige im Lotto bezeichnet.

Nun fällt die endgültige Entscheidung: wir beobachten im Raum Hagenbach in einem Feldweg und hoffen auf den Rhein.

Nach letzten Einkäufen in Wörth machen wir uns um 11 Uhr auf den Weg zu unserer endgültigen Beobachtungsposition. Hagenbach erreichen wir um 1110 Uhr, dem Zeitpunkt des ersten Kontaktes. Wir haben Zeit, da wir die Sonne seit dem kurzen Aufblitzen gegen 9 Uhr nicht mehr gesehen haben. Der Rhein fängt zögerlich an, seine ihm zugetragene Aufgabe als Wolkenbohrer zu verrichten: kleine Stücke blauen Himmels erscheinen und verschwinden. Erste Hoffnungsschimmer keimen bei uns auf.



1115 Uhr: Der Beginn der Finsternis

Auf dem dritten Feldweg nach der Durchquerung von Hagenbach halten wie in zweiter Reihe. Vier weitere Gruppen mit Fahrzeugen befinden sich an unserem Beobachtungsort. Ein junges Pärchen aus Berlin hat keine Brillen mehr bekommen, wir geben ihnen Schweißgläser.

Wir beschließen mit den anderen Gruppen, daß wir den Beobachtungsstandort haben und eine Sonnen- und keine Wolkenfinsternis beobachten werden.

Die Geräte werden ausgepackt und vorbereitet. Der Timer wird auf 1 min 55 sec gestellt und soll während der Totalität (Dauer am Beobachtungsstandort: ca. 2 min 10 sec) eine streßfreie Beobachtung mit Feldstechern und Teleskop ohne Sonnenfilter erlauben. Mittlerweile reißt die Bewölkung auf breiter Front im Westen, der Richtung der heranziehenden Wolken, langsam auf. Die Front stabilisiert sich und lockert die Bewölkung vor der Sonne auf. Zuerst blickweise, dann immer länger können wir die sich verfinsternde Sonne beobachten. Die Stimmung steigt. Diese Sichtbarkeitsbedingungen sind mehr als ausreichend für die partielle Phase, zudem haben wir durch die Bewölkungsphasen ausgiebig Zeit, die zunächst langsame voranschreitende, dann jedoch immer schneller werdende Dämmerung zu beobachten.

Bei einem Bedeckungsgrad von ca. 30% wird der erste von vier Sonnenflecken, die in Richtung des Mondschattens aufgereiht sind, bedeckt. Die Beobachtung am Teleskop bei 25facher Vergrößerung vermittelt einen Eindruck der Geschwindigkeit, mit der der Mond die Sonne bedeckt. Hans beobachtet die Bedeckung des zweiten Fleckes. Die Sichel der Sonne wird immer schmaler. Alle haben Gelegenheit, durch das Teleskop zu schauen. Der Luxmeter liegt auf der Kühlerhaube wird zunächst wenig beachtet.

Gegen 1210 Uhr wird der breite Streifen blauen Himmels westlich der Sonne immer schmaler und verschwindet schließlich ganz. Die weißen Wolken werden im Bereich der Sonne schnell schwärzer.



1217 Uhr: Wolkenfinsternis

Um 1217 Uhr ist es schließlich soweit: die Sonne verschwindet hinter undurchdringlichen schwarzen Wolken. Zwei stabile wolkenfreie Areale haben keine Chance, die Sonne in den nächsten 13 Minuten, den Beginn der Totalität, zu erreichen. Erwartet uns während der Totalität eine Wolkenfinsternis?

Es wird schnell immer dunkler, seit Minuten wandert der Zeiger des Luxmeters immer schneller. Im Zenit ist es stockdunkel. Wolken am Horizont erhellen die Szene mit schwachem gelben Licht. Es wird spürbar immer kälter.

Ca. 1220 Uhr fliegen zunächst vier, kurz darauf zwei weitere Vögel laut zwitschernd in einen Walnußbaum, bei dessen Erreichen sie augenblicklich verstummen. Es wird immer stiller, auch in der Gruppe. Hans kocht Tee im Caravan.

Ich bereite die optischen Geräte auf eine nunmehr sehr unwahrscheinlich erscheinende Beobachtung der Totalität vor, mit einer letzten Einweisung, beim Ertönen des Timersignals nicht mehr in die Geräte zu schauen. Leichter Wind kommt auf.

Ein wenige Grad großer weißer Wolkenfleck bewegt sich inmitten der schwarzen Wolkendecke langsam auf die Sonne zu. Wird er die Sonne zum Zeitpunkt der Totalität erreichen und zumindest schemenweise eine Beobachtung der Totalität erlauben?

Ich entschließe mich für die Teleskopbeobachtung, Hans erhält den 10 x 60 Feldstecher. Mit diesen Geräten haben wir noch die besten Chancen auf Beobachtungen während der Totalität. Silke will mit bloßem Auge beobachten.



1228 Uhr: Sonnenfinsternis?

Das weiße Wolkenstück erreicht die Sonne. Nicht schemenhaft, sondern in voller Intensität erstrahlt die schmale Sichel der Sonne. Begeisterung ergreift die Gruppe. Der Blick durch das Teleskop zeigt keine Wolkenschlieren. Warum??

Ich beobachte am Teleskop, wie die Sonnensichel immer kürzer wird und die Ränder der Sichel immer schneller vom Mondschatten verzehrt werden. Kurz vor dem 2. Kontakt wechsele ich das Okular gegen ein Okular ohne Sonnenfilter aus und beobachte den 2. Kontakt mit bloßem Auge und Schweißglas. Immer schneller verkürzt sich die Restsichel und verschwindet in einem letzten Aufblitzen.



1230 Uhr: Der zweite Kontakt

Der sofortige Blick auf die total verfinsterte Sonne mit bloßem Auge ist unerwartet: das nur wenige Sonnendurchmesser große weiße Wolkenstück hebt sich, von der Korona erleuchtet, von den umgebenen schwarzen Wolken wie ein erleuchtetes Fenster ab, indem die schwarze Sonne steht. Um die schwarze Sonne ist ein sehr schmaler runder heller weißer Koronaring erkennbar, Protuberanzen sind als einzelne rote Punkte mit bloßem Auge leicht sichtbar.

Auch ist die Sonne nicht wirklich schwarz. Vermutlich Streulicht von der Korona auf die weiße Wolke läßt sie wie eine schwarze Scheibe, die durch eine hauchzarte Milchglasscheibe betrachtet wird, erscheinen. Auch dominiert in der gesamten sichtbaren Sonnenumgebung, abgesehen von dem schmalen hellen weißen Koronabereich unmittelbar angrenzend an die verfinsterte Sonne, rötliches Licht; nicht das weiche Rot des Morgenrots, sondern eher das eigentümliche Lachsrot der Protuberanzen. Diese können jedoch, selbst in ihrer Gesamtheit, für die rötliche Färbung nicht verantwortlich sein. Offensichtlich wirkt die weiße Wolke wie ein großes optisches Filter.

Dieser rötliche Gesamteindruck wird, ebenso wie die eindeutige Sichtung der Protuberanzen mit bloßem Auge, später von den anderen Personen an unserem Beobachtungsstandort bestätigt.

Ich habe schon viele Bilder der verfinsterten Sonne gesehen, so etwas jedoch noch nicht. Warum erscheint die gesamte Sonnenumgebung, in der eigentlich die weiße Korona zu sehen sein sollte, eindeutig rot? Warum ist die verfinsterte Sonne im schwachen Licht der Korona durch die Wolke überhaupt noch zu sehen? Die gesamte Szene wirkt sehr fremdartig, futuristisch.

Ich habe vergessen, den Timer zu starten und hole dies sofort nach. Sind ca. 5 sec seit Beginn des zweiten Kontaktes vergangen? Ich hoffe, nicht wesentlich mehr. Aus gutem Grund habe ich 15 sec Sicherheitsspanne eingerechnet.

Der Blick durch das Teleskop bei 25facher Vergrößerung bestätigt vergrößert alle Eindrücke des bloßen Auges. Mehr als 10 Protuberanzen sind als rote schmale Zungen von z.T. gewundener Form in unglaublicher Schärfe und Auflösung sichtbar, hauptsächlich im Bereich zwischen 0 und 4 Uhr (im umkehrenden Teleskop). Bei ca. 8 Uhr befindet sich eine besonders spektakulare, gewundene Protuberanz, die weit von der Sonne abgelöst im Raum schwebt. Der sehr schmale, weiße Koronaring ist klar sichtbar, ebenso die milchglas-schwarze Sonne. Der rötliche Gesamteindruck ist, wohl wegen der Vergrößerung, nicht vorhanden. Unerwarteterweise ist das Teleskopbild gestochen scharf, nicht die geringste Andeutung einer Wolkenschliere ist sichtbar.

Ob diese Beschreibung wohl jemand außerhalb unserer Beobachtungsgruppe glauben wird?

Nach einer subjektiv langen Zeit schaue ich auf den Timer. Erst 40 sec sind vergangen. Der Eindruck mit bloßem Auge ist unverändert. Ich gebe den 7 x 50 Feldstecher an die Gruppe, die hinter mit sitzt, weiter, und beobachte mit dem Teleskop.

Das Timersignal ertönt, ich rufe „Runter mit den Geräten!". Das Bild der schwarzen Sonne mit bloßem Auge ist weiterhin unverändert, der Gesamteindruck ist eindeutig rötlich.

Es sollte eigentlich dunkler sein. Mein subjektiver Eindruck ist jedoch, daß es sehr viel heller als in einer Vollmondnacht ist.

1232 Uhr: Der dritte Kontakt

Ich beobachte den dritten Kontakt mit bloßem Auge. Ein Lichtstrahl erscheint am Sonnenrand. In Sekundenbruchteilen wächst er zu einem gleißenden Lichtoval an, das wie bei einer überbelichteten Fotoaufnahme in den Bereich des Monschattens hereinreicht -der Diamantring. Das Okular wird gewechselt. Durch das Sonnenschutzfilter ist das schnelle Anwachsen der Sonnensichel im Teleskop erkennbar. Zwei Minuten später schiebt sich eine schwarze Wolke vor die Sonne.

Entscheidende sechs Minuten Sicht ohne Unterbrechung während der Totalitätsphase durch eine weiße Wolke! Wir sind begeistert.



1234 Uhr: Das Ende der Finsternis

Nun wird es schnell heller. Nach wenigen Minuten haben wir erneute Sicht auf die nun immer schneller anwachsende Sonnensichel. Werden Wolken von der Sonnensichel angestrahlt, ist ein ovaler Lichthof zu erkennen.

Nun erlahmt das Interesse an der weiteren Beobachtung spürbar. Der Höhepunkt der Finsternis ist vorüber. Die ersten Gruppe macht sich bald auf den Heimweg.

Wir beschließen, nun noch einige Aufnahmen mit einem 200 mm Teleobjektiv mit 2x Telekonverter zu machen. Nach einer guten halben Stunde werden die Sichtbarkeitsintervalle immer kürzer, wir packen zusammen. Ein letzter Blick mit dem Schweißglas auf eine teilverfinsterte Sonne, kurz darauf beginnt es zu regnen. Alle sind überwältigt: es war ein einmaliges Erlebnis.

Silke hat Blumen gepflückt, die, wie sie sagt „vom Licht der schwarzen Sonne" beschienen wurden. Treffender könnte man es nicht ausdrücken.



Zurück zur Startseite