Büro für Altlastenerkundung und Umweltforschung
Dr. Rainer Haas
Stadtwaldstr. 45a, D-35037 Marburg, Tel.: 06421/93084, Fax: 06421/93073
email: haasr@gmx.net
Bodenkontaminationen in Rüstungsaltlasten aus dem ersten Weltkrieg
Rainer Haas1 , Alfred Krippendorf2, Eberhard v. Löw3
1: Büro für Altlastenerkundung und Umweltforschung, Stadtwaldstr. 45a, D-35037 Marburg
2: Hazard Control GmbH, Versuchsfeld Trauen, D-29328 Faßberg
3: Institut für Immunologie, Bereich Umwelthygiene, Pilgrimstein 2, D-35037 Marburg
Zusammenfassung
Die Ergebnisse ausgewählter Bodenproben aus Delaborierungsstandorten von Munition aus dem 1. Weltkrieg zeigen, daß als Hauptkontaminanten Dinitrobenzole, TNT und Metabolite sowie Dinitronaphthaline vorliegen. Der Nachweis von 1,2-Dinitrobenzol neben 1,3-Dinitrobenzol zeigt, daß während des ersten Weltkrieges offensichtlich auf die Sulfit-Wäsche bei der Dinitrobenzol-Produktion verzichtet wurde. Die Ergebnisse belegen, daß bei der Untersuchung von Rüstungsaltlaststandorten aus dem 1. Weltkrieg die Parameterlisten für Standorte des 2. Weltkrieges angepaßt werden müssen.
Schlagworte: Analytik; Analytik, Bodenproben; Delaborierung; Dinitrobenzole; Dinitronaphthaline; Gaschromatographie; Hexogen; Munition; Pikrinsäure; RDX; Sprengstoffe; TNT; Trinitrotoluol; Weltkrieg
Abstract
Soil contamination in former munition plants of world war I
The results of the chemical analysis of soil samples from munition plants of WW I showed, that the most important compounds are dinitrobenzenes, trinitrotoluene and metabolites and dinitronaphthalenes. The presence of 1,2-dinitrobenzene and 1,3-dinitrobenzene in soil samples shows, that during production of dinitrobenzene in WW I the raw dinitrobenzene was not washed with sulphite. The results show, that the parameter list must be different from the parameter list for analysis of soil samples from munition plants of WW II.
Key words: analysis; analysis, soil samples; dinitrobenzene; dinitronaphthalene; explosives; gas chromatography; munition; picric acid; RDX; TNT; trinitrotoluene; world war
1 Einleitung
Seit Ende der 80er Jahre ist das Problem der Umweltkontaminationen durch Sprengstoffrückstände aus Rüstungsaltlasten in das Licht der Öffentlichkeit gerückt. Viele dieser Standorte wurden in den letzten 15 Jahren im Rahmen von Gefährdungsabschätzungen untersucht. Dabei konzentrierte sich die chemisch-analytische Untersuchung meist auf die im 2. Weltkrieg hauptsächlich eingesetzten Sprengstoffe 2,4,6-Trinitrotoluol (TNT), 1,3-Dinitrobenzol (13DNB) und Hexogen (RDX) sowie ihre Nebenprodukte. Diese drei Sprengstoffe stellten ca. 96% der Gesamtmenge der im 2. Weltkrieg produzierten Sprengstoffe dar (TNT: 66%; RDX: 20%; 13DNB: 10%) [1].
Im 1. Weltkrieg war die Situation jedoch eine andere: neben TNT (52%) kamen hauptsächlich Dinitrobenzole (29%), Pikrinsäure (13%) und auch Dinitronaphthaline (4%) zum Einsatz [1].
Nach Ende des 1. Weltkrieges lagerte eine Fülle von nicht verschossener Munition in Munitionsanstalten und an anderen Plätzen. Diese Munition wurde an einige Standorte verbracht und dort bis in die 20er Jahre delaboriert. An diesen Standorten kann man heute noch im Boden Sprengstoffrückstände finden.
In den letzten zwei Jahren wurden von den Autoren Bodenproben aus verschiedenen Standorten der Munitionsdelaborierung aus dem 1. Weltkrieg untersucht (unveröffentlichte Untersuchungsberichte). Über die Ergebnisse ausgewählter typischer Proben wird im Folgenden berichtet.
2 Ergebnisse und Diskussion
2.1 Chemisch-analytische Untersuchungsmethoden
Dinitrobenzole, TNT, Dinitronaphthaline sowie die TNT-Begleitsubstanzen Dinitrotoluole und Aminodinitrotoluole können mit Gaschromatographie und Elektroneneinfangdetektor (ECD) getrennt und quantitativ bestimmt werden.
Die Untersuchungen wurden unter folgenden Bedingungen durchgeführt:
Gaschromatograph: HP 5890 II+ mit Autosampler und Chromatographiesoftware Gynkosoft V 5.32; Säule: DB 5, Länge 30 m, Durchmesser 0,25 mm, Filmdicke: 0,25 µm; Trägergas: Stickstoff, Fluß 1 ml/min; Injektortemperatur: 250°C; Detektortemperatur: 300°C; Detektor: ECD.
Zur Trennung wurde folgendes Temperaturprogramm gewählt: Ausgangstemperatur: 100°C (1 min), 10°C/min bis 230°C, 230°C (26 min). Das Injektionsvolumen betrug 1 µl oder 5 µl.
In Tabelle 1 sind die untersuchten Substanzen und die Retentionszeiten dargestellt. Die Bestimmungsgrenze liegt für alle Substanzen bei 0,05 ng absolut.
Tabelle 1: Retentionszeiten (Rt) und Abkürzungen der getrennten Substanzen
Substanz |
Abkürzung |
Rt/min |
1,4-Dinitrobenzol |
14DNB |
9,55 |
1,3-Dinitrobenzol |
13DNB |
9,85 |
2,6-Dinitrotoluol |
26DNT |
9,99 |
1,2-Dinitrobenzol |
12DNB |
10,13 |
2,4-Dinitrotoluol |
24DNT |
10,98 |
3,4-Dinitrotoluol |
34DNT |
11,73 |
2,4,6-Trinitrotoluol |
TNT |
13,07 |
4-Amino-2,6-dinitrotoluol |
4A26DNT |
15,89 |
1,5-Dinitronaphthalin |
15DNN |
16,24 |
2-Amino-4,6-dinitrotoluol |
2A46DNT |
16,71 |
1,8-Dinitronaphthalin |
18DNN |
20,12 |
Ausgewählte Extrakte von Bodenproben wurden mit gekoppelter Gaschromatographie/Massenspektrometrie (GC/MS) zur qualitativen Substanzidentifizierung zur Absicherung der GC/ECD-Ergebnisse untersucht.
Die GC/MS-Untersuchungen wurden unter folgenden Bedingungen durchgeführt:
GC HP 6890 mit Autosampler HP 6890; splitt/splittless Injektor 230°C; solvent delay 3 min; Trägergas: Helium, Fluß 1ml/min; Säule HP 5 MS, 30 m x 0,25 mm, Filmdicke 0,25 µm; Temperatur 50°C (2 min), 10°C/min bis 120°C, 20°C/min bis 280°C, 280°C (8 min); MS HP 5973 Scan-Bereich 45 - 350 amu, differentiell beheizt; Source 230°C; Quelle 150°C.
Zur Aufbereitung wurden 5 g homogenisierte Bodenprobe 15 min mit 10 ml Methanol p.a. im Ultraschallbad extrahiert und dann filtriert.
2.2 Ergebnisse ausgewählter Proben
In Tabelle 2 sind die Analysenergebnisse einiger ausgewählter Proben dargestellt.
Tabelle 2: Analysenergebnisse ausgewählter Bodenproben; Angaben in mg/kg
Substanz |
BP 1 |
BP 2 |
BP 3 |
BP 4 |
BP 5 |
BP 6 |
BP 7 |
BP 8 |
24DNT |
nn |
nn |
nn |
nn |
nn |
nn |
nn |
nn |
26DNT |
nn |
nn |
nn |
nn |
nn |
nn |
nn |
nn |
34DNT |
nn |
nn |
nn |
nn |
nn |
nn |
nn |
nn |
12DNB |
0,15 |
nn |
nn |
402 |
1,43 |
6,77 |
0,10 |
nn |
13DNB |
0,21 |
nn |
nn |
5230 |
2,39 |
5,50 |
0,17 |
0,05 |
14DNB |
0,06 |
nn |
nn |
36,3 |
nn |
nn |
nn |
nn |
TNT |
nn |
1580 |
0,68 |
12,5 |
260 |
130 |
14,5 |
0,26 |
2A46DNT |
nn |
21,6 |
0,09 |
14,9 |
30,8 |
10,8 |
3,65 |
0,15 |
4A26DNT |
nn |
28,6 |
0,13 |
0,41 |
41,8 |
9,51 |
3,96 |
0,24 |
15DNN |
14,0 |
25,4 |
nn |
635 |
248 |
180 |
2,15 |
nn |
18DNN |
45,1 |
36,8 |
nn |
5860 |
497 |
430 |
3,58 |
0,95 |
Mit GC/MS wurden in ausgewählten Proben die o.g. kalibrierten Substanzen identifiziert: 1,2-Dinitrobenzol, 1,3-Dinitrobenzol, 1,4-Dinitrobenzol, 2,4,6-Trinitrotoluol, 2-Amino-4,6-dinitrotoluol, 4-Amino-2,6-dinitrotoluol, 1,5-Dinitronaphthalin und 1,8-Dinitronaphthalin. Daneben wurden in geringen Mengen 1-Nitronaphthalin (Vorprodukt von Dinitronaphthalinen) sowie weitere Isomere der Dinitronaphthaline identifiziert.
Die in Tabelle 2 dargestellten Resultate ergeben folgendes Bild:
1) Dinitrotoluole wurden in keiner Probe nachgewiesen. Dies war unerwartet, da in kontaminierten Böden auf Rüstungsaltlasten aus dem 2. Weltkrieg Dinitrotoluole oft in geringen Konzentrationen als Begleitsubstanzen (Produktionsverunreinigungen) von TNT auftreten [2].
2) In allen Proben, in denen TNT nachgewiesen wurde, wurden, wie an Rüstungsaltlaststandorten des 2. Weltkrieges auch, Aminodinitrotoluole als mikrobielle Metabolite nachgewiesen [2].
3) In Proben, in denen der Sprengstoff 1,3-Dinitrobenzol gefunden wurde, wurden als Begleitsubstanzen (Produktions-Nebenprodukte) immer 1,2-Dinitrobenzol und in einigen Proben auch 1,4-Dinitrobenzol nachgewiesen. Dies deutet darauf hin, daß bei der Produktion während des 1. Weltkrieges auf eine Sulfit-Wäsche des Roh-Dinitrobenzols verzichtet wurde. Die in [1,3] beschriebene Herstellungsmethode ist somit für den 1. Weltkrieg zu bezweifeln.
An Rüstungsaltlaststandorten des 2. Weltkrieges werden diese Isomere nicht nachgewiesen!
4) In Proben, in denen Dinitronaphthaline gefunden wurden, ist mengenmäßig 1,8-Dinitronaphthalin das Hauptprodukt, 1,5-Dinitronaphthalin wird in geringeren Mengen gefunden und weitere Isomere spielen praktisch keine Rolle. Diese Isomerenzusammensetzung ist in der Literatur [1,3] beschrieben.
5) In den Proben wurden drei Gruppen von Sprengstoffen gefunden: Dinitrobenzole (1,3-DNB, 1,2-DNB, 1,4-DNB), TNT und Metabolite (TNT, 2A46DNT, 4A26DNT) sowie Dinitronaphthaline (1,8-DNN, 1,5-DNN). Diese Gruppen wurden gemeinsam oder einzeln in versechiedenen Proben gefunden. Es treten in verschiedenen Proben unterschiedliche Hauptkontaminanten auf: Dinitrobenzole, TNT oder Dinitronaphthaline.
Aus den gewonnenen Resultaten wird deutlich, daß bei der chemisch-analytischen Untersuchung im Rahmen von Gefährdungsabschätzungen von Rüstungsaltlasten aus dem 1. Weltkrieg die Parameterlisten für Rüstungsaltlasten aus dem 2. Weltkrieg keine Anwendung finden können und modifiziert werden müssen. Hauptkontaminanten sind die o.g. drei Nitroaromaten-Sprengstoffe. Hexogen, ein wesentlicher Sprengstoff des 2. Weltkrieges, war im 1. Weltkrieg noch nicht erfunden. Prikrinsäure besitzt eine sehr hohe Wasserrlöslichkeit und wurde bis heute als Bodenkontamination noch nicht nachgewiesen.
3 Literatur
[1] Thieme, J., Appler, B., Bassek, H., Haas, R., Kopecz, P., Nicklauß, M. (1994): Branchentypische Inventarisierung von Bodenkontaminationen auf Rüstungsaltlasten. Band 1. UBA-Texte 43/94. Umweltbundesamt, Berlin.
[2] Haas, R. (1992): Konzepte zur Untersuchung von Rüstungsaltlasten. Abfallwirtschaft in Forschung und Praxis, Band 55. Erich-Schmidt-Verlag, Berlin.
[3] Urbanski, T. (1961): Chemie und Technologie der Explosivstoffe. Band I. VEB Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig.